Wir Journalisten sehen uns als 4. Gewalt im Staate. Man hat zwar keinen direkten Einfluss auf Gesetze, die Einhaltung von Gesetzen oder Urteilen über Gesetzesbrecher – jedoch kann ein mündiger Bürger nicht alles wissen und sich selbst über aktuelle Ereignisse informieren. Journalistinnen und Journalisten sammeln Informationen, bereiten sie auf und veröffentlichen diese als Berichte, Artikel, Essays oder Kolumnen. Selbstverständlich konnte und kann nie alles zu einem Thema gesammelt, gegengecheckt oder vollständig im Sinne von 100 Prozent veröffentlicht werden. Das könnte nur nach jahrelanger Kleinstarbeit geschehen und wäre dennoch unvollständig – und vor allem zu spät für die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt ihre Meinung bilden wollen.
So kommt es vor, dass in einer Zeitung ein Zahlendreher die Welt für kurze Zeit auf den Kopf stellt oder ein Zitat einer falschen Person zugeordnet wird oder gar auf einem Foto etwas anderes zu sehen ist als im Artikel beschrieben wurde. Das alles lässt sich korrigieren und gehört zum journalistischen Alltag. Wir alle sind ja auch Menschen.
Demgegenüber steht eine Macht gegenüber. Politiker, Verwaltungen, Ministerien und andere Ämter und Behörden. Dort findet man es nicht immer gut, wenn die Arbeit kritisch begutachtet wird. Bei Scheckübergaben werden Journalistinnen und Journalisten eben lieber gesehen als in Sitzungen von Stadträten und Landtagen.
Nun ist es – wieder! – in der Landeshauptstadt Erfurt geschehen. Ein Journalist, Jakob Maschke, schreibt einen als Meinungsbeitrag gekennzeichneten Kommentar mit dem Titel „Von wegen Sportstadt Erfurt„. Hier soll nicht inhaltlich auf den Beitrag eingegangen oder ein Faktencheck versucht werden. Hier soll der „Offene Brief der Verwaltung“ (die, im Gegensatz zu den Journalisten, immer arbeiten und zahlreiche Ressourcen an sich binden kann) kurz eingeordnet werden.
Wie geschildert, passieren Fehler, und im Journalismus können diese auch ohne Schaden (kein Gerichtsurteil mit einer Haft- oder Geldstrafe, kein verfassungswidriges Gesetz usw.) korrigiert werden. Wird ein solcher Fehler von den Betroffenen bemerkt, kann eine Gegendarstellung nach Presserecht verlangt werden. Oder, es kann eine eigene Darstellung verfasst und veröffentlicht werden. Im konkreten Fall hat das die Erfurter Stadtverwaltung nicht getan. Es gab keine Gegendarstellung (die veröffentlicht werden muss) noch eine eigene Mitteilung auf der Seite der Stadtverwaltung. Die Meinung wurde als „Offener Brief“ an eben jenen Journalisten verfasst.
Städtische Mitarbeiter nutzen die offizielle Seite der Stadtverwaltung, um ihre Kränkung zu schildern.
So geht das nicht. Verwaltungen und Politiker müssen Kritik, sei sie gerechtfertigt oder nicht, im Zweifel aushalten. Das sieht der Landesverband des Deutschen Journalistenverbands so, und das sieht die Erfurter CDU-Stadtratsfraktion ebenfalls so. Wenn Journalisten unterstellt wird, Äußerungen kämen „der sogar strafrechtlich relevanten ‚üblen Nachrede‘ schon vergleichsweise nahe“, dann werden Grenzen überschritten, die in einer Demokratie nicht überschritten werden dürfen.
Die Erfurter Stadtratsfraktion der CDU geht den richtigen Weg. Man stellt der Stadtverwaltung öffentlich eine Anfrage, dessen Wortlaut wie folgt ist:
„Offener Brief der Verwaltung
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
am heutigen Tage wurde ein „Offener Brief der Verwaltung an den Sportreporter Jakob Maschke“ auf www.erfurt.de veröffentlicht, welcher auf einen Kommentar des Reporters in der TA/TLZ abstellt. In dem Offenen Brief prangert die Stadtverwaltung ungenügende Recherchen an und bringt sogar den Begriff der „üblen Nachrede“ in Bezug auf den gescheiterten Fördermittelantrag zur Sanierung der kleinen Eishalle ins Spiel. Wenige Stunden nach Veröffentlichung wurde der Text wieder entfernt.
Ich bitte daher um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Entspricht der Text der Auffassung des Oberbürgermeisters zur Berichterstattung der lokalen Presse?
- Plant die Stadtverwaltung künftig regelmäßig auf (negative) Berichterstattung direkt per offenem Brief an den Berichterstatter zu reagieren?
- Warum wurde der offene Brief wenige Stunden nach Veröffentlichung wieder gelöscht?
Mit freundlichen Grüßen
Michael Panse, Stadtrat„
Zur Zeit der Fragestellung von Michael Panse war der Artikel zeitweise gelöscht und wurde, in leicht veränderter Form, erneut veröffentlicht. Die Beantwortung der Frage steht noch aus, sollte aber in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.
Ausdrücklich als Bürger dieser Stadt kann ich mich mit diesem offenen Brief nicht identifizieren. Die Meinungsäußerung de Sportreporters, in einem Kommentar, ist natürlich legitim und mehr als erlaubt. Der Ton des offenen Briefes ist, aus meiner Sicht, arogant. Selbstverständlich kann sich Herr Bärwolf als Stellvertreter des Oberbürgermeisters immer äußern; er müsste dann die anderen Veröffentlicher, Herr Cizek Herr Battschkuss etc. ausdrücklich autorisiert haben?