Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat mit seinem heute verkündeten Urteil entschieden, dass das Siebte Gesetz zur Änderung des Thüringer Lan-deswahlgesetzes -Einführung der paritätischen Quotierung -(Paritätsge-setz) vom 30. Juli 2019 (GVBl 2019, S. 322) nichtig ist. Antragsteller im zu Grunde liegenden Normenkontrollverfahren war die Fraktion der Alternative für Deutschland im Thüringer Landtag.Nach dem Paritätsgesetz wären Landeslisten für die Wahl zum Thüringer Landtag abwechselnd mit Frauen und Männer zu besetzen gewesen. Lan-deslisten wären zurückzuweisen gewesen, soweit sie dieser paritätischen Besetzung nicht entsprochen hätten.Personen, die im Personenstandsregister als ‚divers‘ registriert sind, hätten auf jedem Platz kandidieren können.Der Verfassungsgerichtshof hat zur Begründung insbesondere ausgeführt:Die gesetzliche Verpflichtung der politischen Parteien, Landeslisten zur Wahl des Thüringer Landtags paritätisch zu besetzen, beeinträchtigt das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl nach Art. 46 Abs. 1 ThürVerf sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und die Chancengleichheit der Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG als in das Lan-desverfassungsrecht hineinwirkendes Bundesverfassungsrecht. Diese Rechte erstrecken sich auch auf wahlvorbereitende Akte wie die Aufstellung von Listenkandidaten.
Auf Grund des heute für nichtig erklärten Gesetzes wären die Wählerinnen und Wähler nicht mehr frei gewesen, durch Wahl einer anders besetzten Liste die Zusammensetzung des Landtags zu beeinflussen. Die Mitglieder der Par-teien hätten nicht mehr die Freiheit, Kandidaten für Landeslisten unabhängig von deren Geschlecht zu wählen und sich selbst für jeden Listenplatz zu be-werben. Erhielte eine Partei, deren Liste teilweise zurückgewiesen wurde, auf Grund dessen weniger Mandate als ihr bei Berücksichtigung der für sie insge-samt abgegebenen Stimmen zustünden, wäre zudem der Erfolgswert dieser Stimmen gemindert.
Die Parteien wären ferner in der Freiheiteingeschränkt,das eigene Personal zu bestimmen und ihr Programm mit einer spezifisch geschlechterbezogenen Besetzung der Listen zu untermauern. Mittelbar könnten den Parteien Nach-teile dadurch entstehen, dass sie bei der Besetzung der Listen nicht das ihnen am besten geeignet erscheinende Personal einsetzen könnten. Diese Eingriffe hätten noch nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes geführt, wenn sie durch die Verfassung selbst gerechtfertigt gewesen wären. Dafür aber hätte es zwingender Gründe bedurft, also solcher Gründe,die nicht nur durch die Verfassung legitimiert, sondern auch von einem Gewicht sind, das den beeinträchtigten Rechten die Waage halten kann. Weder das Demokratieprin-zip noch die vom Bundesverfassungsgericht als erforderlich betrachtete Si-cherung der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung weisen ein solches Gewicht auf. Die Abgeordneten des Thüringer Landtags repräsentieren das Wahlvolk grundsätzlich in dessen Gesamtheit, nicht als Einzelne. Hingegen zielt die Sicherung der Wahl als Integrationsvorgang auf die Integration politischer Kräfte,jedoch nicht auf eine Integrationvon Frauen und Männern als Geschlechtergruppen.
Die über Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG inhaltlich hinausreichende Verpflichtung zur Gleichstellung von Frauen und Männern nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf vermag zwar grundsätzlich auch Beeinträchtigungen der Freiheit und Gleich-heit der Wahl sowie der Chancengleichheit politischer Parteien zu rechtferti-gen und steht auf derselben Rangstufe wie Art. 46 Abs. 1 ThürVerf und Art. 21 Abs. 1 GG als Teil des Landesverfassungsrechts. Gleichwohlkann Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf die Einführung einer Pflicht zur paritätischen Besetzung der Landeslisten nicht rechtfertigen. Der Entstehungsgeschichte, na-mentlich den Beratungen im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss einschließlich der Abstimmung über dort gestellte Anträge lässt sich entneh-men, dass der Verfassungsgeber Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf nicht als Recht-fertigung einer solchen Pflicht verstanden wissen wollte. Der Thüringer Ver-fassungsgerichtshof darf (im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz) der Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf keinen Bedeutungsgehalt bei-legen, der nur im Wege einer förmlichen Verfassungsänderung nach Art. 83 ThürVerf in die Verfassung des Freistaats Thüringen eingeführt werden könnte.Das mit 6 : 3 Stimmen ergangene Urteil und die Sondervoten der Senatsmit-glieder Heßelmann einerseits und Petermann und Licht andererseits sind auf der Internetseite des Thüringer Verfassungsgerichtshofs abrufbar