Ilmenau: Borkenkäfer wird massiv bekämpft

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Ein Gespräch mit Forstamtsleiter Hagen Dargel

Herr Dargel, derzeit finden massive Fällarbeiten in den Wäldern rund um Ilmenau statt. Was ist der Grund für den enormen Holzeinschlag?

Der Grund dafür ist eine nie dagewesene Massenvermehrung des Borkenkäfers, die wir als Kalamität bezeichnen. Ursache dieser Massenvermehrung ist Klimawandel. Forscher haben festgestellt, dass sich die Temperatur in Thüringen im Vergleich zu Vorindustriezeiten um durchschnittlich 1,7 Grad Celsius erhöht hat. Unverkennbares Indiz dafür sind die vergangenen vier extrem warmen Sommer. Das begünstigt die Massenvermehrung der Borkenkäfer, von denen der große Buchdrucker der Hauptschädling ist. Je länger ein Jahr günstige Bedingungen bietet, umso mehr Generationen bilden sich. Das verdeutlicht der Blick auf die Grafik. Hatten wir in den Hochlagen in den Jahren zuvor eine bis maximal zwei Generationen nacheinander, waren es in den zurückliegenden Jahren teilweise bis zu drei Generationen die sich entwickelt haben.

Wie breitet sich der Borkenkäfer aus?

Ab 17 Grad Celsius werden die Schädlinge, welche unter der Borke bzw. im Boden überwintert haben, aktiv und fliegen aus, um sich neue Bäume als Brutstätte zu suchen. Aufgrund der Trockenheit und des hohen Befallsdruckes kann nicht genug Harz zur Gegenwehr gebildet werden. Ein Käfer bohrt sich in die Rinde ein und legt eine so genannte „Rammelkammer“ an. Danach sendet er Pheromone zur Anlockung seiner Artgenossen aus. Nach der Paarung legen die Weibchen Eier entlang eines Muttergangs ab. Nach Larvenfraß und Verpuppung schlüpfen die Jungtiere. Larven und Jungkäfer fressen sich zwischen Borke und Splintholz durch den so genannten Bast. Sie durchtrennen dabei die Leitungsbahnen, die die Baumwurzeln mit lebenswichtiger, in den Nadeln gebildeter Nahrung versorgen. Bei starkem Befall wird auch der Wassertransport in die Kronen so stark gestört, dass der Baum abstirbt. Selbst dabei ist im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren eine Veränderung festzustellen: Früher waren meist Fichten ab einem Alter von 40 Jahren betroffen. Doch inzwischen befällt der Buchdrucker auch schon jüngere Bäume. Unsere Förster müssen jeden Verdachtsbaum inspizieren. Ein Indiz für den Befall ist feines braunes Bohrmehl, das am Stamm herunterrieselt und wie Kaffeesatz aussieht und vermehrter Harzfluss. Das sieht man meist nicht vom Weg aus. Andere Befallskennzeichen, wie z. B. eine rötliche Verfärbung der Kronen, werden erst viel später sichtbar. Der Laie vermutet, dass vermeintlich gesunde, grüne Bäume gefällt werden – was aber nicht der Fall ist!

Kann sich ein Baum erholen, zum Beispiel nach längeren Regenphasen wie in diesem Frühjahr?

Nein. Die vergangenen trockenen Sommer schädigten das Feinwurzelsystem der Bäume, wodurch die Wasseraufnahme nachhaltig gestört wurde. Das bildet sich nicht nach, nur wenn mal ein feuchtes Jahr dazwischen liegt. Die Bäume bilden überdies eine Lebensgemeinschaft mit Pilzen. Bis sich so eine Gemeinschaft formt, vergeht Zeit, das ist nicht kurzfristig reparierbar.

Wenn ein Baum befallen ist, wie schnell muss dann reagiert werden?

Man hat dann in der Regel zwischen vier und sechs Wochen Zeit, befallene Bäume zu fällen und schnellstmöglich abzutransportieren, bevor die erste Folgegeneration wieder ausfliegt und neue Bäume befällt. Die massive Ausbreitung können wir leider nicht mehr verhindern.

Warum ist es notwendig, so großflächig zu fällen? Können einzelne Bäume nicht stehengelassen werden? 

Befallene Bäume stehen zu lassen, ist keine Option. Das wäre eine absolute Gefahr für die Waldbesucher, denn man kann nicht einschätzen, wie lange ein geschädigter Baum noch steht. Hinzu kommt, dass unkontrolliert umgestürzte Bäume Wege versperren würden. Wir entfernen Bäume im Umkreis von 50 bis 60 Metern um eine Schadstelle herum. In dieser Zone sind schon wieder die nächsten Bäume befallen. Ein Käferbaum fällt in der Regel über kurz oder lang aus. Eine Selbstheilung gibt es nicht.

Welche Baumarten sind am häufigsten betroffen?

Die Fichte ist am häufigsten betroffen. Hier müssen wir leider eine 100-prozentige Ausfallquote feststellen. Das stellt Waldbesitzer vor große Probleme, denn diese Baumart stellte in der Vergangenheit die Haupteinnahmequelle dar.

Um zukünftig vor solchen Schadereignissen gefeit zu sein, ist der Waldumbau in aller Munde. Ist es dafür nicht zu spät?

Das Thema Waldumbau ist in Thüringen nicht neu, im Gegenteil! Nach verheerender Orkan- und Borkenkäferkalamität in den Nachkriegsjahren wurde auf den Schadflächen mit Fichte wiederaufgeforstet. Schäden durch Sturm, Schneedruck und Borkenkäfer häuften sich in Folge. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es das klassische Kahlschlagsystem: Flächen sollten bis zur Hiebreife hochwachsen, dann wurden sie kahlgeschlagen und wieder gepflanzt. Mit der politischen Wende kam auch die waldbauliche Wende. Der ökologisch orientierte, naturnahe Waldbau ist seit 1993 im Thüringer Waldgesetz verankert. Seit 90-er Jahren wurden weder im Staatswald noch im Stadtwald Kahlflächen geschaffen. Bereits seit den 90-er Jahren wurde angefangen, auf eingezäunten Flächen Buchen und Tannen zu pflanzen. Andernorts haben wir auf eine natürliche Verjüngung gesetzt und mit sanften Eingriffen für mehr Licht gesorgt. Das Waldbild hat sich in den letzten Jahren schon massiv gewandelt. Die Bewirtschaftung hat für mehr Struktur in den Wäldern gesorgt. Selbst Eichen haben sich verjüngt. Wenn man zurückblickt, waren die Wälder früher viel dunkler. Die natürliche Verjüngung hat nur eine Chance, wenn genug Licht vorhanden ist. Unter den Waldbesitzern gab es immer Konsens, dass wir einen Wald für die Zukunft brauchen.

Die Fichte wird also dauerhaft aus den Thüringer Wäldern verschwinden?

Ja, zumindest in den mittleren Lagen. Man kann nur für eine gewisse Zeit in die Zukunft blicken. Wir müssen mehr natürliche Entwicklung zuzulassen, weil wir nicht alles steuern können. Was sich jetzt verjüngt, hat als nächste Generation bessere Chancen zu bestehen. Dabei war bislang der Niederschlag nie der begrenzende Faktor, sondern eher die Temperatur. Seit 2018 haben wir nun aber festgestellt, dass die Trockenheit zum limitierenden Faktor wurde. Fichten konnten sich darauf nicht einstellen. Fichten hatten bisher hier nie Wassermangel, und daraus folgt: Wenn man sich nie auf Wassermangel einstellen musste, fehlt der Anpassungsprozess bestehender Gewächse. Pflanzen, die jetzt wachsen, passen sich hingegen besser an, stellen sich auf Wassermangel ein. Wie viele Fichten sich zumindest in den Hochlagen am Rennsteig halten werden, wird sich zeigen.

Warum bleiben Äste und Reisig der gefällten Bäume auf dem Waldboden liegen und werden nicht beräumt?

Im Wald verbleibende Biomasse hat einen deutlichen Mehrwert als Kohlenstoffspeicher, zur Humusanreicherung, als Schutz für die vorhandene oder die zu erwartende natürliche Verjüngung auf den Schadflächen. Eine Gefährdung für den Forstschutz ist demgegenüber minimal.

Werden die tiefen Fahrspuren der Forsttechnik wieder beseitigt?

Maschinenwege werden mittels Technik wieder glattgezogen. Dies dient an Hängen der Verhinderung von Bodenerosion und verbessert die Nachfolgenutzung für Holzerntemaßnahmen. Reine Rückegassen verbleiben in der Regel im vorhandenen Zustand.

Werden die zerstörten Waldwege wieder repariert?

Die Waldeigentümer haben ihre Forstwege als Investition selbst gebaut und sind daher an deren Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung zu allererst selbst interessiert. Während der Buchdruckerkalamität wird vielerorts jedoch nur eine notdürftige Wiederherstellung möglich sein, da diese Wege in den nächsten Jahren immer wieder für Holzeinschlag und Holztransport benötigt werden.

Wer kommt für die Beseitigung der Schäden an Waldwegen auf?

In der Regel kommt der Eigentümer für die Beseitigung der Schäden auf. Auf der Grundlage verschiedener Förderprogramme des Landes, des Bundes und der EU werden spezielle Maßnahmen bezuschusst. Für die Inanspruchnahme dieser Fördermittel gibt es strenge Vorgaben, die von verschiedenen Institutionen kontrolliert werden.

Welches Konzept zur Schädlingsbekämpfung gibt es?

Eine Schädlingsbekämpfung durch den Einsatz von Insektiziden, etwa durch das Ausbringen in stehenden Beständen, ist nicht zugelassen. Eine Bekämpfung des Buchdruckers kann nur durch eine schnelle Sanierung der befallenen Bestände erfolgen. Darunter versteht man das Einschlagen, Rücken und Poltern des befallenen Holzes sowie eine möglichst schnelle Abfuhr des verkauften Holzes.

Wohin aber geht das ganze eingeschlagene Holz? Gibt es nicht Möglichkeiten, Material einzulagern?

In Thüringen ist viel investiert worden in Großsägewerke. Kleinere Sägewerke, die regional arbeiten, haben nach und nach den Betrieb eingestellt. Früher hatten wir noch Abnehmer in Gräfenroda, oder in Suhl. Doch jetzt sind Holzkäufer in großen Unternehmen konzentriert. Wenn durch ein Schadenereignis wie aktuell viel Holz anfällt, sind die Sägewerke nicht mehr in der Lage, alles zeitnah abzunehmen. Dann ist der asiatische Markt ein Ventil, um das Holz gewinnbringend zu verkaufen. Holz ist kein Werkstoff, den man über mehrere Jahre lagern kann. Es beginnt zu reißen, verliert an Qualität.

Wenn so viel Holz aus Thüringens Wäldern geholt wird, woher beziehen wir in Zukunft unser Bauholz?

Die Sägewerke und die holzverarbeitende Industrie werden sich auf die veränderte Situation einstellen. Es gibt inzwischen verschiedene Möglichkeiten, Holz zu verarbeiten. Sicher wird die traditionelle Bauweise mit Balken aus Massivholz zurückgehen. Aber es wird auch in Zukunft so sein, dass Holz ein wichtiger Baustoff bleibt. Den Prognosen zufolge wird eine Zeitlang viel schwaches Holz ankommen, was auch schwieriger zu vermarkten ist. Es wird durchaus 30 Jahre dauern, bis in Teilen des Waldes wieder etwas Verwertbares wächst. Und wir wissen heute noch nicht, welche Baumart sich einmal bewähren wird.

Wie lange wird die aktuelle Situation noch andauern?

Wir rechnen mit drei bis fünf Jahren. Dann können wir sagen, wieviel Fichtenvorrat tatsächlich verloren gegangen ist. Alles, was jetzt älter als 40 Jahre ist, wird voraussichtlich bis dahin verschwinden. Thüringen ist da keine Ausnahme in Deutschland. Wir sind ein bisschen später dran – aber der Weg war vorgezeichnet. Unsere Herausforderung ist, dass wir das meistern müssen. Wenn wir diese Katastrophe hinter uns haben, müssen wir uns Gedanken machen, was danach werden soll. Wir versuchen schon jetzt, in die Zukunft zu schauen und Perspektiven zu entwickeln, auch wenn es schwerfällt. An der Situation derzeit kann man nichts mehr ändern, da müssen wir durch. Das ist nicht nur eine Herausforderung für die Waldbesitzer, sondern für die ganze Gesellschaft.

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