Thüringer Gleichstellungsbeauftragte: Situation in gewaltbetroffenen Familie durch Corona verschlechtert

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In einer Pressekonferenz hat die Thüringer Gleichstellungsbeauftragte Gabi Ohler heute ihre Einschätzung zur Situation in gewaltbetroffenen Familien während der Corona-Pandemie und zur Situation der Thüringer Frauenhäuser vorgestellt. Unterstützt wurde sie vom Vorsitzenden der Landesarbeitsgemeinschaft Kinderschutz, Heiko Höttermann.

Dazu erklärt die Thüringer Gleichstellungsbeauftragte Gabi Ohler: „Die Pandemie hat wie ein Brennglas den Blick auf hoch belastete Familien gelenkt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Gewalt in diesen Familien – vor allem gegen Frauen und Kinder, aber auch gegen Männer – während der Pandemie gestiegen ist, auch wenn es bislang an Dunkelfeldstudien dazu fehlt. Es gab große Anstrengungen, auch unter erschwerten Bedingungen Hilfe und Schutz bereitzustellen.“

So seien vorübergehend zusätzliche Unterkünfte geschaffen und mediale Beratungsangebote von Frauenhäusern und Interventionsstellen ausgebaut worden. „Ich freue mich sehr, dass mit dem gestrigen Kabinettsbeschluss deutlich mehr an Haushaltsmitteln eingeplant werden. Mit den vorgesehenen 1,5 Millionen Euro würde sich unser Etat um den Gewaltschutz und entsprechende Unterstützungsangebote auszubauen, die Zusammenarbeit zwischen den Systemen zu verbessern und die Hilfsangebote bekannter zu machen, auf 3,4 Millionen Euro erhöhen“, so Ohler.

Nach Berichten aus der Praxis haben die Aufnahmen in den Frauenhäusern während der Pandemie nicht zugenommen, auch die polizeilich erfassten Fälle häuslicher Gewalt in Thüringen entsprechen in etwa denen der Vorjahre. Eine signifikante Zunahme der Beratungen um etwa 15 Prozent verzeichnete im Jahr 2020 jedoch das bundesweite Hilfetelefon. Insgesamt 51.407 Beratungen fanden statt, mit

  • einer Zunahme um 20 Prozent der Beratungen wegen häuslicher Gewalt,
  • einem Anstieg um 21 Prozent der Anrufe von Menschen aus dem sozialen Umfeld gewaltbetroffener Frauen,
  • und einer Steigerung um 25 Prozent fremdsprachiger Beratungen.

Deutlich gestiegen sind auch die Hilfegesuche von Kindern und Jugendlichen. Dazu erläuterte der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Kinderschutz, Heiko Höttermann: „Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig die medialen Angebote und die Weiterentwicklung der Hilfetelefone sind. Die aktuelle technische Ausstattung in vielen Fachberatungsstellen der Kinderschutzdienste muss für Online-Beratungen optimiert werden. Das birgt auch Chancen für eine bessere Erreichbarkeit im ländlichen Raum. Außerdem benötigen wir eine verbesserte Abstimmung vor Ort, damit auch in Krisenzeiten die Handlungsabläufe reibungsloser funktionieren.“

Auf ihrer Tour durch die Thüringer Frauenhäuser wurde die Gleichstellungsbeauftragte neben dem hohen Engagement der Mitarbeiterinnen insbesondere auf die strukturellen Probleme der Frauenhäuser in Thüringen aufmerksam. So verfügen nur 17 der 22 Thüringer Landkreise und kreisfreien Städte über ein Frauenhaus oder eine gleichwertige Schutzeinrichtung. Demzufolge gibt es statt der 283 vorzuhaltenden Plätze nur 171. Für eine Männerschutzeinrichtung wird derzeit eine Konzeption erstellt. 

„An dieser Stelle werden wir gezielt ansetzen“, so die Thüringer Gleichstellungsbeauftragte. „Wir brauchen nicht nur mehr Mitarbeiterinnen und Plätze (sowohl für Frauen als auch für Männer), sondern beispielsweise auch Möglichkeiten einer barrierefreien Unterbringung und eine 24-Stunden-Einrichtung mit Rund-um-Betreuung für gewaltbetroffene Frauen in besonderen Lebenslagen, wie zum Beispiel mit Sucht- oder psychischen Erkrankungen. Als Landesregierung sind wir gemeinsam mit den gesellschaftlich relevanten Vertretungen verpflichtet, die Istanbul-Konvention umzusetzen und den Gewaltschutz auszubauen. Mit den eingeplanten Mitteln können wir uns auf den Weg machen und auch die gesetzlichen Grundlagen schaffen.“

Ziel müsse es aber auch sein, auf Bundesebene einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz (beziehungsweise einen Platz in einer Männerschutzeinrichtung) unter finanzieller Beteiligung des Bundes zu erreichen. Hier sei die neue Bundesregierung aufgefordert, die Arbeit des Runden Tisches zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Frauenverbänden wieder aufzunehmen, so die Gleichstellungsbeauftragte.

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