Es war sicherlich ein kalter Winter als 1458 die Tannen, Kiefern und Fichten gefällt wurden, die im Dachstuhl des Leuchtenburger Schleierturms eingesetzt wurden. Laut dendrochronologischem Gutachten stammen die Hölzer aus der Region, aus Thüringen und Bayern. Welche Geheimnisse der seit 150 Jahren verschüttete Wehrturm noch in sich trägt, soll ein heute startendes Ausgrabungs- und Freilegungsprojekt unter der Leitung der Stiftung Leuchtenburg zu Tage bringen. Ein Saugbagger wird zunächst unter fachmännischer Steuerung der Firma Strabag und der Burgmeister die zuletzt dort gesammelten Glücksscherben aus den Anfängen der Leuchtenburger Porzellanwelten und danach den Schutt aus dem Jahr um 1873 entfernen, damit anschließend die archäologischen Arbeiten beginnen können.
Beeindruckende Wehranlage mit Schleierturm
In der Mitte des 15. Jahrhunderts, nachdem die Verteidigungsanlage der Burg im Sächsischen Bruderkrieg (1446-1451) erhebliche Schwachpunkte zeigte, hat man die Leuchtenburg baulich verstärkt und die vier Verteidigungstürme mit doppeltem Graben um 1455/60 errichtet.
Der etwa 10 Meter hohe Südostturm der Wehranlage unterscheidet sich deutlich von den anderen. Er ist tropfenartig geformt und mit mächtigem und qualitativ höherem Mauerwerk versehen. Die Spitze des Turms diente der Abwehr. „Er war der einzige Turm, der mit Artillerie von dem gegenüber liegenden Berg aus getroffen werden konnte. Die Mauerverstärkung bot zusätzlichen Schutz und konnte angreifende Kugeln ablenken“, so Bauforscher Benjamin Rudolph, der die bedeutende mittelalterliche Wehranlage von 2012 bis 2015 untersuchte. „Sie ist mit Abstand eine der besterhaltenen Anlagen im mitteldeutschen Raum“, so Rudolph weiter.
Der Namensgeber „Hans Schleier“
Mangels fehlender äußerer Bedrohung wurden die Türme später zu Gefängnissen umgebaut. Man hat sie ab 1535 bis ca.1700 in ihren unteren Etagen für Inhaftierungen, strafrechtliche Verhöre und Folterungen genutzt, so Dr. Ulrike Kaiser, die die Bauakten zum Turmbau wissenschaftlich auswertete. Zu Zeiten der Reformation wurde die Region um die Leuchtenburg zu einem Zentrum der so genannten Täufer- oder auch Wiedertäuferbewegung. Mit der Übernahme der Pfarrstelle im südlich der Leuchtenburg gelegenen Städtchen Orlamünde durch Andreas Bodenstein, auch Karlstadt genannt, kam 1522 der in der Forschung als „zweiter Mann der Wittenberger Reformation“ gesehene Reformator in die Region um die Leuchtenburg und damit eine völlig neue Qualität von reformatorischem Gedankengut. Dies belegt auch der Bericht des Theologen Philipp Melanchthon nach seinen Kirchenvisitationen. Er beklagt „einen verheerenden Einfluß Karlstadts in Kahla“: „Niemals hätte ich es geglaubt, wenn ich es nicht gesehen hätte, daß hier so viel Unheil sei.“, so Melanchthon
Seit Juli 1535 befand sich auch Hans Schleier, ein Leineweber aus dem nordthüringischen Riethnordhausen, wegen angeblicher Wiedertäuferei, also einer anderen Auslegung der vorherrschenden religiösen Lehrmeinung, im Gefängnis der Leuchtenburg. Die bis heute gebräuchliche Turmbezeichnung „Schleier“ geht auf seine Kerkerhaft zurück. Nicht nur wurde der Wehrturm für ihn als ersten Insassen zum dunklen Kerker ausgebaut, die Umstände seiner Haft stellen die untrennbare Verbindung mit dem Namen des Turms her: Hans Schleier war lange, nämlich ganze 206 Tage, im Turm gefangen. Während dieser Zeit wagte er einen spektakulären Ausbruchsversuch, bei dem er und ein Landknecht schwer verletzt wurden. Fünf Wochen lang musste er täglich aus dem engen Turmloch durch die Einwohner von Seitenroda nach oben gezogen werden, damit ihn der Kahlaer Arzt verbinden konnte.
Zur Klärung der Glaubensfrage im Fall von Hans Schleier wurde kein geringerer als Philipp Melanchthon persönlich auf die Leuchtenburg gebeten. Melanchthon befragte Hans Schleier zur Dreieinigkeitslehre, zum Taufsakrament, über das Abendmahlssakrament und den Gehorsam gegenüber Obrigkeiten. Außerdem hinterfragte er die Gründe für die Taufverweigerung an seinem Kind. Sein eigenhändiges Verhörprotokoll, was schließlich zum Freispruch Schleiers führte, wird heute im Staatsarchiv Weimar aufbewahrt.
Das Team der Archäologen und der Stiftung Leuchtenburg sind gespannt auf das, was das Projekt zu Tage bringen wird. Später soll der Turm öffentlich zugänglich gemacht werden.